Kann man minimalistisch leben wenn man Kinder hat?

Theoretisch: ja klar!

Aber in der Praxis ist das alles gar nicht so einfach, denn wir leben in Gesellschaft anderer und bei so vielen Lebens- und Wohnmodellen kommt man nicht umhin zu hinterfragen, ob das was man tut, „das Richtige“ ist.
Was wir aber alle kennen und zu meiden versuchen, sind die Horrorbeispiele von Kindern die alles (materielle) haben, aber charakterlich unausstehliche, verwöhnte kleine Gören sind. Kleine Prinzen und Prinzessinnen die glauben ein gottgegebenes Geburtsrecht auf… naja, so ziemlich alles was ihr kleines Herz begehrt, zu haben.

Puh! Ich bin schon körperlich geplättet wenn ich nur daran denke.

Und wir, als Eltern wissen doch im tiefsten inneren unseres Herzens das wir unseren Kids nichts Gutes tun wenn wir sie mit gekauften Dingen überhäufen. Die Gründe dafür, warum wir es dennoch tun, sind so unterschiedlich und vielfältig wie es Miniaturautos, oder Barbiepuppen, oder Legosteinchen gibt.

Wenn du aber diesen Artikel liest, weil dich der Titel angesprochen hat, liegt die Vermutung nahe dass in dir dieser kleine, ätzend nagende Zweifel hochkommt der fragt: „Bin ich gerade dabei mein Kind zu einer oberflächlichen Konsum-ista zu erziehen?“ Gut, vielleicht ist meine ganz persönliche Formulierung und bei dir stellt sich „nur“ die Frage: haben meine Kinder zuviel?

ABER WANN IST VIEL ZUVIEL?

Also meine spontane Antwort darauf wäre: wenn du schon darüber nachdenkst dann, ja, sie haben wahrscheinlich zuviel.

Aber mach doch einfach mal den Test:

Wenn ihr alle Spielzeuge aufräumt, im Kinderzimmer selbst und alles was sonst noch in der Wohnung rumfliegt… wenn all das schön aufgeräumt im Kinderzimmer steht: Wie viel Platz bleibt dann noch zum tatsächlichen Spielen? Hat dein Kind noch räumlich genug Quadratmeter zur Verfügung um, sagen wir mal, 2 Purzelbäume hintereinander zu schlagen? Kann es die Arme ausstrecken und im Kreis laufen und so tun es wäre es ein Flugzeug…ohne irgendwo anzuecken?

Nein? OK, dann jetzt mal ganz schnell los, denn dann hat dein Kind GANZ SICHER zu viel.

Ja? Bravo! Dann habt ihr zumindest ein Zimmer das groß genug ist. Aber, ganz ehrlich, nur weil alles reinpasst heißt es ja noch nicht das es auch wirklich alles nötig ist. Von „förderlich“ und „nützlich“ mal ganz zu schweigen. Denn der Sinn von Spielzeug ist doch Fantasie zu fördern. Geschichten erzählen, oder um es in „erwachsenen Begriffen“ auszudrücken, die Weichen für Konzeptentwicklung und Strategieanalyse stellen.
Wenn Spielzeug das Gegenteil tut, also Fantasie einschränkt, dann ist es nicht nur zuviel, sondern auch ein negativer Einfluss.
Kinder denken einfach unbarmherzig schwarz-weiß:

  • Mein Papa ist der Beste.
  • So kocht man Eier nicht. Meine Mama macht die immer so und so!
  • Nein! Die Arztbarbie ist Arzt. Die kann nicht Koch sein.
  • Aber Mama, das ist doch der Porsche! Porsches fahren immer schnell!

Wenn Kinder zig Variationen von ein und demselben Spielzeug haben, also zum Beispiel 15 Barbies und 53 Miniaturautos, wird jeder Barbie und jedem Auto genau nur noch die eine Rolle zugeteilt die es standesgemäß repräsentiert. So fördern wir Schubladendenken.

Also zurück zur Anzahl an Spielzeugen: Als Interior Designer denke und spreche ich immer in Quadratmetern und Volumen, weil es so herrlich konkret und anschaulich ist. Ich würde als Richtlinie folgendes sagen:

SPIELZEUGE SOLLTEN NICHT MEHR ALS 20% BODENFLÄCHE IM KINDERZIMMER EINNEHMEN.

Das klingt wenig? Naja, rechnen wir doch mal:

Meine Beiden haben ein 14m² großes Zimmer und 20% davon sind dementsprechend 2,8m². Das ist mehr als ein Jugendbett (90x200cm). Anderthalb mal so viel, um genau zu sein. Oder die zwei Kindergitterbettchen zusammengestellt. Das ist ne ganze Menge. Um ganz ehrlich zu sein: bei uns nimmt das Spielzeug nur ungefähr 10% Bodenfläche ein (und dann noch nicht einmal sehr hochgestapelt).

„IM VERGLEICH, HABEN MEINE KINDER JA FAST NICHTS!“

ist was ich immer mit großen Augen feststellen muss, wenn ich bei anderen Leuten mit Kindern zu Besuch bin.
Aber wenn ich mich bei mir zuhause umschaue, dann fühle ich mich nicht besonders wie ein Minimalist. Besonders wenn mal wieder das LEGO überall rumfliegt, der Tisch nicht abgeräumt ist und eine ganze Armee von Hunden von den Resten unterm Tisch ernährt werden könnte. Ich habe das Gefühl das „Kinderkram“ überall rumliegt. Aber dann denke ich mir das genau dieses Spielzeug doch sein Geld wert war, denn es wird ja damit gespielt. Das unnütze Zeug ist das was nicht in der ganzen Bude rumfliegt. Und davon haben wir auch eine ganze Menge. Meinen Kindern mangelt es wirklich an nichts.

DIE VORTEILE VON MINIMALISTISCHEM LEBEN FÜR KINDER

Darüber haben noch ganz andere, viel bessere Wortartisten geschrieben. Und obwohl ich vieles genau so auf meiner Stichpunktliste zum Ausarbeiten hatte, fühlt es sich ein bisschen so an als ob ich die folgenden Artikel nur übersetzen würde. Deswegen, lest doch selbst:

  • Der wundervolle Joshua Becker von ‚Becoming Minimalist‘, hier.
  • Leo Babouta von ‚Zenhabits‘, hier.

Ich möchte nur noch zu dem Punkt von Leo „Minimalism is a conversation“ folgendes hinzufügen, denn ich könnte nicht mehr zustimmen:

MINIMALISMUS IST EINE UNTERHALTUNG.

Und diese Unterhaltung findet auch schon mit meinen Kleinkindern statt und zeigt seine Auswirkungen darin dass meine Kinder schon SEHR weit in ihrer Sprachentwicklung sind. Wenn man als Eltern aber (stolz) von den eigenen Kindern spricht, wird man natürlich immer belächelt, denn es fehlt die Objektivität. Nehmt es also wie ihr mögt, aber ich möchte euch dennoch erzählen:

Mein 2 Jähriger hat viel bessere Sprachkapazitäten als viele Gleichaltrige – und das ist messbar. Die meisten gehen davon aus, dass das mit dem Aufwachsen in Zweisprachigkeit zu tun hat. Aber es ist erwiesen das bilinguale Kinder meist einen geringeren Wortschatz haben, also weniger Worte an sich kennen, die dann aber im Gegenzug in 2 Sprachen. Meine Erklärung für seine tollen verbalen Fähigkeiten ist: Mein Kleiner spricht so gut weil er sich mehr und ständig erklären muss. Und Übung macht ja bekanntlich den Meister. Mehr Kram macht vieles im Spiel offensichtlicher. Etwas das unser Kind anders lösen muss.
Wenn uns z.B. die Autos ausgehen (wir haben nur 6) müssen Klötzchen herhalten um den Stau zu simulieren und das muss mir mein Kleiner erstmal erklären, wenn wir spielen (denn die Klötzchenschlange könnte ja auch ein Zug sein, oder… oder…oder…).

DIE ’NEGATIVE‘ UNTERHALTUNG ÜBER MINIMALISMUS.

Es gibt aber auch eine „negative Unterhaltung“ um Minimalismus. Negativ nenne ich sie deswegen, weil mir manche Menschen das Gefühl vermitteln, ich müsste unsere Lebensweise rechtfertigen. Dann muss ich mich daran erinnern das manche Menschen meinen Lebensstil nur angreifen, weil sie meinen ihren eigenen Stil so verteidigen zu müssen. Dabei handelt es sich ja hier nicht um einen „Battle Of The Lifestyles“.

Wenn ich also erwähne das wir versuchen „eher minimalistisch“, oder mit „so wenig wie möglich“ zu leben, kommt meist erst das resignierte Schulterzucken.

„Whatever. Jedem das seine.“

Nur um dann mitten in der Bewegung stehen zu bleiben und mir dann, in gewisser Weise entsetzt, zu entgegnen: „Aber du hast doch Kinder!“

Manche sind geschockt, weil sie ehrlich glauben das „mit weniger leben“ und „mit Kindern leben“ nicht vereinbar sind. Sich quasi auf einer imaginären Besitztumsskala spektral entgegengesetzt ist.

Und ganz ganz viele sind geschockt, weil in ihren Augen das „weniger“ mit einem „nichts gönnen wollen“ gleichsetzen. Und ich muss in solchen Fällen mit mir kämpfen, um den Vorwurf der Kaltherzigkeit zu überhören.

„WIE JETZT? DU WILLST ALSO DAS DEINE KINDER NICHTS HABEN?“

Woah ho! Immer langsam! An dieser Stelle kommt dann die Erläuterung zu meinem Minimalismus: rational und mit Vernunft reduziert. Und dann lade ich sie ein doch mal zu schauen wie das bei uns aussieht.

Sieht das etwa nach nichts aus?

Es gab noch keinen der da Ja gesagt hat. „Einfach nur weniger.“ ist meist die Antwort. Genug Menge um Unordnung zu schaffen, aber das ich nenne das ja dann gerne einfach „Mission Spielen erfolgreich durchgeführt!“

DIE UNTERHALTUNG ÜBER MINIMALISTISCHE ALTERNATIVEN.

Unser Lebensstil ist, wie gesagt, nicht jedermanns Sache. Und obwohl unsere Familien das jetzt alle verstanden und ihren Frieden damit gemacht haben, gibt es jedes Jahr aufs Neue Termine an denen Lebensstile aufeinander treffen und zu Reibungen führen. Die Rede ist natürlich von Geburtstagen und Weihnachten. Hier mussten wir uns zu Beginn oft Fragen dieser Art anhören: „Was dürfen wir denn euren Kindern schenken?“

Unsere naive erste Antwort war immer: „Nichts. Sie brauchen nicht wirklich was.“

Das ist eine dumme Antwort, denn es geht beim Schenken ja nicht darum was man braucht, sondern was man will. Und darum das der Schenkende etwas geben will. Meine ergänzende Antwort ist dann, das sie doch Zeit schenken sollen. „Komm doch lieber vorbei, back nen Kuchen mit ihnen, geht ein Eis essen, oder in den Zoo!“ Schenke meinen Kindern das Gefühl das da draußen noch andere Personen sind, an die sie sich wenden können – egal ob „was ist“ oder nicht.

Auch das Argument „Geld statt Gütern“ hilft nicht. Es geht einfach um den Akt des Schenkens, des Überreichens (von etwas), des Auspackens u.s.w.

Wir sind also zu dem Schluss gekommen das ganz genaue Anweisung hermüssen, die aber immer noch einen Spielraum der Eigenentscheidung zulassen.

Ähm, was jetzt?

Wir haben „Schenkkriterien“, ganz klare „Richtlinien“ was wir für unsere Kinder wollen, bzw. was wir nicht wollen. Und damit wir die Leute nicht (noch mehr) nerven, müssen die ganz einfach und unmissverständlich sein. In unserem Fall lautet der Slogan:

„DU KANNST SCHENKEN WAS DU WILLST, SOLANGE ES NICHT AUS PLASTIK UND NICHT BATTERIEBETRIEBEN IST.“

(*LEGO, IST HIER ÜBRIGENS DIE EINZIGE AUSNAHME).

 

Das ist etwas das sich jeder merken kann und für uns ungeahnt gut funktioniert, denn

  • entweder die Leute denken nach, recherchieren und kommen mit richtig coolen Spielzeugen, gern auch handgemacht zu uns,
  • oder ihnen ist das zu anstrengend und wir bekommen (plötzlich doch) Geldgeschenke für die Kinder, die eingezahlt, oder gleich per Überweisung auf deren Konto landen.

HURRA!!!

Und die die jetzt doch noch Tipps zum „guten Schenken“ haben wollen, bitteschön… meine Lieblingsgeschenke und wie ich sie „verkaufe“:

  1. Zeit schenken. Was unternehmen, für das Kind da sein, denn die Beziehung die du mit meinem Kind haben kannst, hat eine ganz andere Qualität als die, die ich mit meinem Kind habe. Meine Kinder brauchen jemanden wie dich.
  2. Etwas Selbstgemachtes. Am besten natürlich wenn du es gemacht hast, oder wenn du es mit meinem Kind zusammen machen kannst. Und wenn nicht, dann schau doch mal bei Etsy oder Dawanda nach. Dort gibt es so viele großartige Macher die ihr Wissen, Können und ihre Kreativität in ihre handgemachten Kreationen stecken.
  3. Geld. Du willst unbedingt was schenken auch wenn es gar nicht nötig ist? Und du hast nicht viel Zeit zu kommen oder vorab zu suchen? Dann gib ihnen etwas das sie später brauchen werden und nach ihrem eigenem Gusto verwenden können – Geld.
  4. Spielzeug von diesen Firmen finde ich gut:
    • HABA – deutsche Firma: „Erfinder für Kinder“
    • Pintoys – thailändische Firma die Holzspielzeug aus alten Latex-/Kautschukbäumen herstellt die sonst einfach nur verbrannt worden wären, weil sie nichts mehr zum ernten produzieren.
    • Plantoys – noch eine Thai-Firma ähnlich wie Pintoys und mit Ökölabel besonders nachhaltig.
    • Käthe Kruse – traditionelles, „altes“ Spielzeug aus Deutschland
    • Steiff – muss ich nichts zu sagen, oder?
    • WheelyBug – meine Kinder lieben ihre Biene. Ein tolles, vielseitiges Spielzeug!
    • Grimm – noch mehr deutsches Holzspielzeug in fantastisch organischen Formen.
    • Music Marble Tree – vom schweizer Designer Matthias Utinger, unglaublich wieviel Zeit Kinder damit verbringen.